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25.03.2024

Viktor Ullmann - Gedenken an Theresienstadt

Viktor Ullmann

Vikor Ullmann und Kurt Weill: Mit zwei Opern und Konzerten erinnert die Hochschule an Theresienstadt und die Verbrechen des Nationalsozialismus.   

„Also, ich bin der Gehilfe, Romain. Das ist so ein hektischer Typ, der eine ganz große Aggression in sich fühlt.“ Die Rolle von Frederic Schikora in Kurt Weills Oper „Der Zar lässt sich fotografieren“ ist nicht besonders umfangreich. „Da legt man nicht viel hinein. Romain kommt am Anfang, singt die ersten zwanzig Partiturseiten und dann kommt er nie wieder.“

Für Schikora ist die kleine Rolle trotzdem eine große Herausforderung, denn sie ist die erste in seinem neuen Stimmfach Tenor. Der 23-jährige ist zuvor ein Bariton gewesen. Immer wieder haben ihn Lehrer darauf hingewiesen, dass ein Tenor in ihm steckt und einen Wechsel in Aussicht gestellt. Nach ein paar Unterrichtsstunden an der Robert Schumann Hochschule bei Professor Konrad Jarnot ist der junge Sänger dann einfach ins kalte Wasser gesprungen und hat den Registerwechsel gewagt. Wie geht das überhaupt, sich stimmlich so zu verändern? „Jeder normale Mensch singt bis zum Passaggio“, erläutert Schikora – also bis zu jenem Punkt, in dem die Bruststimme in die Kopfstimme wechselt. „Ein Tenor lernt, wie man laut über das Passaggio hinaus singt, fünf oder sechs Töne. Ich sage immer, das ist artifiziell. Aber man kann es lernen.“

Tenorstimme erproben

Das Opernprojekt der RSH in diesem Jahr bietet nun also für den 23-jährigen Sänger mit deutsch-katalanischen Wurzeln die erste Gelegenheit, seine Tenorstimme auf der Bühne zu erproben. Schikora versucht sich selbst zu beruhigen – aufgeregt ist er trotzdem. Thomas Gabrisch, künstlerischer Leiter des Projekts und der Opernklasse, ist da aber entspannt. „Das Gute ist, dass diese Entwicklungen ja von allen Lehrern und Pädagoginnen begleitet werden.“

Jedes Jahr bringt die Opernklasse der Robert Schumann Hochschule eine, oft aber auch gleich zwei Opern auf die Bühne des Partika-Saals. Einakter werden bevorzugt, denn alle Sängerinnen und Sänger tragen so den größten Lerngewinn davon und werden zugleich nicht überlastet. Die Idee, Viktor Ullmanns Oper „Der Kaiser von Atlantis“ auszuwählen, ist im Sommer 2023 gereift, sagt Thomas Gabrisch.

Oper aus Theresienstadt

Viktor Ullmann ist in der Weimarer Republik einer der großen Kompositionstalente. Viele seiner Werke werden erfolgreich uraufgeführt. Mit seiner sechsköpfigen Familie verschlägt es ihn in den Dreißigerjahren nach Prag. 1939 wird die Stadt jedoch von den Nationalsozialisten besetzt. Die Flucht der Familie misslingt. Am 8. September 1942 wird Ullmann ins Ghetto Theresienstadt deportiert, dann am 16. Oktober 1944 mit einem der letzten Transporte nach Ausschwitz verbracht. Zwei Tage später wird er dort ermordet.

In Theresienstadt wird Ullmann rund zwei Jahre lang zum Motor des Kulturlebens. Dort entsteht auch sein „Spiel in einem Akt“ „Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“. Die Oper entsteht größtenteils während des Jahres 1943. Eine Aufführung im Ghetto ist in Planung, es finden auch Proben statt. Zu einer Aufführung kommt es aber nicht mehr. Die Partitur des „Kaisers“ kann Viktor Ullmann vor seinem Abtransport noch einem Freund übergeben, der die Nazizeit überlebt. Ullmanns Oper schwebt auf unheimliche und erschütternde Weise zwischen Leben und Tod. Sie ist eine Parabel über den Krieg, totalitäre Herrscher und die Allgegenwart des Todes. Unschwer lässt sich in Kaiser Overall ein anderer verrückter Diktator jener Zeit wiedererkennen. Der ruft hier den „Krieg aller gegen alle“ aus. Der Tod kann damit nicht schritthalten. Er fühlt sich verhöhnt und entscheidet, die Menschen fortan nicht mehr sterben zu lassen. Alle, die der Kaiser hinrichten will, bleiben am Leben. Gut für die Soldaten, man kann sich nicht mehr erschießen. Am Ende wird der Kaiser vom Bombenzählen verrückt und begegnet dem Tod wieder, der ihm als sein eigenes Spiegelbild erscheint.

Gedenkkonzert mit Moritz Führmann

Je stärker sich Thomas Gabrisch mit dem Stück beschäftigte, desto deutlich wurde der Gedanke, noch weitere Werke von Viktor Ullmann aufzuführen. Auch der 80.Todestag Ullmanns im Oktober 2024 ist ihm und der Hochschule dazu ein Anlass. „Zuerst gab es die Idee, noch Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke aufzuführen. Ich bin froh, dass wir dafür den Schauspieler Moritz Führmann gewinnen konnten“, sagt Gabrisch. Nach und nach sind immer mehr Werke zu dem geplanten Ullmann-Festival dazugekommen: Prof. Hans Eijsackers gestaltet einen Liederabend, Prof. Eckart Runge ein Konzert mit Kammermusik, Tobias Koch einen Klavierabend und Prof. Timo Nuoranne studiert mit seinen Studierenden Ullmanns Bearbeitungen jiddisch-hebräischer Melodien ein, während der Chor der jüdischen Gemeinde die Originale vorträgt.

Während sich die Werke dieser kleinen Ullmann-Konzertreihe im Vorfeld des 80. Todestages fast zwangsläufig umeinander gruppieren, ist es schon schwieriger gewesen, das passende Opern-Gegenstück zum „Kaiser von Atlantis“ zu finden. Kurt Weills Opera Buffa „Der Zar lässt sich fotografieren“ ist auf den ersten Blick keine naheliegende Wahl. Hier spielt eine Kamera die Hauptrolle, desgleichen ein Grammophon und ein Telefon. Letzteres klingelt gleich einige Male im „Fotoatelier Angèle“ in Paris. Die Fotografin Madame Angèle erfährt vom Hofmarschallamt, dass sich der Zar bei ihr fotografieren lassen will. Es handelt sich jedoch um eine raffiniert eingefädelte Intrige, um den Zaren ins Jenseits zu befördern. Die Fotografische Platte aus der Kamera ersetzen die Verschwörer durch eine Pistole, auch das Personal bei Madame Angèle wird ausgetauscht. „Ein Foto schießen“ – diese Redewendung bekommt in Weills Oper eine neue Bedeutung. Doch der Zar lässt sich schwerer ablichten als gedacht, und Turbulenzen aller Art sind vorprogrammiert.

Die Uraufführung von „Der Zar lässt sich fotografieren“ findet am 18. Februar 1928 am Neuen Theater in Leipzig statt. Das Stadttheater Düsseldorf ist die erste Bühne, die das Stück damals nachspielt, und das schon im Folgemonat. Das Libretto stammt von Weill selbst und dem meistgespielten Dramatiker der Weimarer Republik, Georg Kaiser.

Toxische Männlichkeit

Die Inszenierung der beiden Einakter übernimmt die in Jugoslawien geborene Regisseurin Beka Savić. Solch interessante Werke wie die von Ullmann und Weill habe sie bislang noch nicht angeboten bekommen, sagt sie. „Ich habe viel Mozart gemacht und viel Verdi. Sehr, sehr klassisches Repertoire, tatsächlich. Diese Stücke haben aber eine ganz andere, greifbarere Substanz für mich. Bei Verdis ‚La Traviata‘ muss man sich sehr viel Mühe geben, um die Handlung ins Heute zu ziehen. Im Vergleich dazu sind diese Stoffe wahnsinnig dankbar. In dem Ullmann-Stück hat der Regisseur oder die Regisseurin viel Verantwortung. Allein die Thematik, da legt man nicht sofort los und will es zerrupfen.“

In ihrer Inszenierung will Beka Savić die Unterschiede der beiden Werke betonen. „Es war mir wichtig, die beiden Opern ästhetisch nicht als eine darzustellen. Das ist bei solchen Doppelabenden eh immer etwas schwierig.“ Dennoch haben beide Werke ihre Gemeinsamkeiten. Zwei Herrscher mit toxischer Männlichkeit stehen im Zentrum, wobei sich Weills Zar erst beim zweiten Hinsehen als zweifelhafter Charakter erweist. „Wir gehen da so’n bisschen in das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Der Zar, was ist das eigentlich für ein Kerl?“ In der Oper erweist er sich fast als „Me Too“-Fall. Er bedrängt die falsche Madame Angèle, um ein Liebesabendteuer zu erzwingen. „Nein heißt nein“, das würde er nicht akzeptieren. „Solche Themen auszugreifen, ohne darauf herumzureiten, ist gerade für die junge Generation interessant“, sagt Beka Savić.

Man sollte die Welt bejahen

Trotz aller Schwierigkeiten in einer Welt im ständigen Umbruch verliert die junge Generation allerdings nicht den Glauben in eine lebenswerte Zukunft. Frederic Schikora ist da nicht nur zuversichtlich, was die Entwicklung seiner Stimme betrifft. Er tritt der Zukunft auch offen gegenüber. In „Der Kaiser von Atlantis“ hat er ebenfalls eine Rolle übernommen, einen Soldaten, der sich in ein Mädchen namens Bubikopf verliebt. Er fällt ihr in die Arme, denn wenn nicht mehr gestorben wird, muss auch nicht mehr gekämpft werden. „Besonders diese Rolle gefällt mir. In dieser so dunklen Oper ist sie lebensbejahend. Klar, unsere heutige Welt ist nicht vielleicht so, wie wir sie hier sehen. Aber ich fühle mich oft so, dass mir viele Sachen nicht gefallen, dass mir unsere Gesellschaft nicht gefällt. Trotzdem sollte man die Welt bejahen. Ja, es ist vielleicht ein bisschen naiv. Aber so muss das sein.“

Markus Bruderreck

 

 



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